Archiv für Januar, 2011

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29
Jan

Auf dem Weg zum Flirtgott (I/III)

Mein Single-Dasein verschlug mich mal wieder in die Altstadt. Wie gewöhnlich stand ich betont lässig mit ein paar Freunden herum. Wir erzählten sehr wenig mit vielen Worten und lachten auch noch darüber. Als meine Freunde voll waren wie der Rhein letzte Woche, machte ich mich, vollkommen nüchtern, auf eine Erkundungstour durch die Kneipe. Schnell verführte mich mein Stasi-Gen zum Belauschen anderer Gäste. Ich war überrascht, mit welchem Einfallsreichtum Jungs probierten, Mädchen hinter‘s Licht zu führen: „Entschuldigung, hast du gerade mit mir gesprochen? Nein? Dann könntest du das doch jetzt nachholen, oder?“ Ich war mir noch nicht ganz klar, ob ich mit dem Typen Mitleid haben oder mich auf die folgende Ohrfeige freuen sollte, da hörte ich: „Hi, setz‘ dich doch! Ich bin Noreen!“ Ein Schauer lief mir den Rücken herunter. Es gruselte mich. Nie könnte ich einen solchen Satz herausbringen. Würde ich nie solch einen Erfolg feiern können? Während ich durch die Kneipe tänzelte, oberservierte einen weiteren Flirtversuch: „Ach, bitte, ich bin so schüchtern. Kannst du nicht die Initiative ergreifen?“ Mit diesem Spruch hält man seinen gegenüber zum Narren und verwickelt ihn damit auch noch in ein Gespräch. Aber man darf doch keine Beziehung mit einer Lüge beginnen, oder!?

Diese beeindruckenden Beispiele zeigen den Notstand der deutschen Liebeslyrik. Wir können von Glück reden, dass Deutsch keine Weltsprache ist. Man würde nicht zu unrecht über uns lachen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, fasste ich mir ein Herz und überlegte mir ein Gedicht, welches mir den Traum meiner schlaflosen Nächte etwas näher bringen sollte. Dann probierte ich in der Kneipe ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, was mir direkt weitere Zuhörer einbrachte. Mit extremer Achselnässe, hochrotem Kopf und zitternder Stimme trug ich vor. Dabei vergaß ich die Welt um mich und träumte mich in ihre Arme. Geborgenheit. Sicherheit. Nähe. . . Da brach großes Gelächter über mich drein. „Ehy, der Typ ist voll wie der Rhein letzte Woche“, hörte ich es neben mir. Dies hinterließ großen Wunden auf meinem Herzen, die mich daran erinnern, dass es nicht eines großen Einfallsreichtums bedarf, sondern ein einfaches lässig gehauchtes „Äh . . ., ich glaub´, äh . . . ich kenn´ Dich gar nicht!“ völlig ausreichend gewesen wäre, um bei meiner Traumfrau einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Mehr, wenn ihr mich wieder seht,

ihr müsst unbedingt lesen, wie es weiter geht.

Euer Feuerlescher

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14
Jan

Mensch, ärgert mich das!

Im Jahre 1985: Fünf Jungs saßen zusammen vor einem „Mensch-ärgere-dich-nicht“ – Spiel. Fünf waren einer zu viel. Damit das Spiel beginnen konnte, musste einer von ihnen aussetzen. Daher meldete sich Maik: „Ich setze in der ersten Runde aus, damit ihr spielen könnt.“ Vor Beginn der zweiten Runde stellte Jürgen fest: „Diesmal werde ich aussetzen, damit Maik auch mitspielen kann.“ Als Tim an der Reihe war Auszusetzen, da äußerte er sich: „Ich will auch in dieser Runde mitspielen. Ich steige nicht aus!“ Damit kein Streit aufkam und weiter gespielt werden konnte, entgegnete Maik: „Okay, dann setze ich erneut aus.“ Als Maik zu Hause angekommen war, erzählte er seiner Mutter, wie sein Nachmittag verlaufen war. Die Mutter klopfte ihm auf die Schulter: „Das finde ich sehr gut, dass du verzichtet hast, damit die anderen spielen können!“ Tim berichtete ebenfalls zu Hause von seinem Nachmittag, worauf seine Mutter ihn lobte: „Das hast du gut gemacht. Es ist wichtig, dass du dich durchsetzen kannst!“

Heute (26 Jahre später): Maik hängt von Selbstzweifeln gequält in den letzten Zügen seines Studiums für soziale Arbeit. Seinen Platz in der Welt hat er noch nicht gefunden. Tim hat einen gut dotierten Job als Unternehmensberater. Er arbeitet viel und glaubt seinen Platz in der Welt gefunden zu haben. In einer Welt in der das Zusammenleben ohne Menschen wie Maik nicht möglich wäre.

In diesem Sinne,

euer Feuerlescher

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6
Jan

Seitenwechsel

Hinten am Fenster! Da war mein Platz. Kurz vor acht gehörte ich zu den fleißigsten Schülern überhaupt, sofern mir jemand seine Hausaufgaben borgte und sofern ich den Schulbesuch einrichten konnte. In den seltensten Fällen hatten meine Noten weniger als sieben Buchstaben oder bestanden gar aus zwei Wörtern. Dafür wurde ich auf jeder Konferenz definitiv einmal namentlich erwähnt! Im Lehrerzimmer war ich so beliebt wie die Schulhofaufsicht bei ‑10 °C. Natürlich nur deswegen – ausschließlich deswegen – wurde ich häufiger zur Nachprüfung eingeladen. Dennoch wurde ich immer versetzt! Nicht nur von der letzten in die erste Reihe oder ans Waschbecken. Ich war einer von euch! Täglich disktutierte ich mit meinen Kollegen: Wer hat am wenigsten gemacht? Wer hat am häufigsten gefehlt? Kurz um: Wer hat mit dem geringsten Aufwand am meisten herausgeholt?

Und jetzt?

Jetzt stehe ich jeden morgen vorne an der Tafel und frage mich: Warum kommt Oswald immer zu spät? Warum haben nur drei Leute die Hausaufgaben? Warum freut sich keiner nach einem langen Wochenende auf die ersten beiden Stunden am Montagmorgen?

Ich kenne die Antworten! Doch, warum muss man erst die Schule beenden, um zu verstehen, dass man zwölf Jahre (plus X) auf dem Holzweg war?