Archiv für September, 2016

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Sep

Es könnt‘ alles so einfach sein!

Ihnen mangelt es an flüchtigen sozialen Kontakten? Sie bekommen gerne und ungefragt Ratschläge von Unbekannten? Ihre Privatsphäre spielt für Sie keine Rolle? Indiskrete Frage auf offener Straßen kommen Ihnen gelegen? Ihr Neugeborenes darf gerne ein Praktikum als Pony im Streichelzoo machen?

Gehen Sie einfach mit ihrem Neugeborenen in die Öffentlichkeit. Ungefragt werden gänzlich Unbekannte in Ihren Kinderwagen langen. Sind die Arme oder der Kopf nicht bedeckt, streicheln wildfremde Menschen unseren Sohn. Meine Frau und ich haben bereits Desinfektionsmittelspender am Kinderwagen angebracht. Danach folgt die Standardfrage: „Und, schläft er schon durch?“ – Ja, klar! Direkt nachdem wir aus dem Krankenhaus kamen, hat der Kleine sein Zimmer aufgeräumt, geht pünktlich zu Bett, schläft durch und macht morgens Frühstück. „Unser hat ja direkt durchgeschlafen!“ – Ja, würde unser auch, wenn ich nur den Fernseher laut genug drehe oder das Kinderbett weit weg von meinem Schlafzimmer platziere. Als wir mit unserem Kleinen das erste Mal unterwegs waren, wurden wir von Fremden auf dem Marktplatz angesprochen: „Und, war die Geburt gut?“ – Sicher, meine Frau hat ca. 6 Stunden vor Schmerzen geschrien, konnte mehrere Tage kaum laufen und hat mehr Blut verloren als ich im Jahr spenden darf, aber die Geburt war super. Dann geht es direkt weiter. „Oh, er hat Probleme mit der Verdauung?“ – Ein skeptischer Blick geht in Richtung meiner Frau mit dem Hinweis: „Wenn sie stillen, dann ernähren sie sich falsch!“
Gerade die erfahrene Bevölkerung hat auch Tipps parat: „Ein Kind muss man auch mal schreien lassen!“ – Klar, aber wehe dem, du wirst im Restaurant nicht sofort bedient oder musst beim Aldi an der Kasse anstehen.
„Und, arbeitest du schon wieder?“ Natürlich arbeitet meine Frau schon wieder, weil ihre eigene Regeneration nach dem Vorankommen der Volkswirtschaft steht und vor allem, weil wir ein Kind bekommen haben, was wir am besten den ganzen Tag nicht sehen wollen.

Ehrlich, ohne diese ganzen Tipps, würde es unserem Kleinen lange nicht so gut gehen, schließlich lassen wir ihn jetzt immer schreien, meine Frau hat die Freude am Essen verloren, findet über Stunden anhaltende Schmerzen gut und generell ist es uns wichtig, dass am besten jeder Passant einmal seine Pfoten in den Kinderwagen steckt, damit unser Kind bloß nicht an uns klammert und Antikörper gegen jeden Keim aufbauen kann.

Gewidmet ist der Text meiner lieben Frau, die sich nun seit genau zwei Monaten liebevoll und aufopfernd um unseren kleinen Pepe und mich kümmert. Wir lieben dich!