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26
Feb

Unterrichtsvorbereitung

„Jeden Schüler da abholen, wo er steht!“ so titelt das Kultusministerium Niedersachsen auf seiner Homepage. Das ist nicht räumlich gemeint. Ergo muss die Lehrerschaft kein Taxiunternehmen gründen, obwohl dies im Hinblick auf die sinkenden Schülerzahlen vielleicht gar nicht so unklug wäre!?

Im übertragenen Sinne fordert die Parole von mir, meine Schüler zu verstehen, um auf jeden geistigen Aussetzer der Schutzbefohlenen souverän reagieren zu können. Als motivierter Lehrer folgte ich natürlich diesem Ratschlag und stieg hinab in die mitunter geistfrei, intelligenzferne Welt der deutschen Privatsender. Getreu dem Motto „Wenn alle drüber lästern, dann haben es auch alle gesehen!“ suchte ich mal wieder den Superstar. Hatten wir ihn nicht schon längst gefunden? Wer hat ihn bloß verloren gemacht? Jetzt müssen wir ihn schon wieder suchen? Als ich die Struktur der Sendung verstanden hatte, war mein Augen‑Tinnitus (Augenkrankheit die vortäuscht, dass überall Pfeifen zu sehen sind) so akut, dass ich mich erst einmal an den Schreibtisch setzte. Dort lag die Unterrichtsvorbereitung zum deutschen Staatssystem.

Nachdem die Symptome meiner Augenkrankheit abebbten, fiel mir eine verblüffende Ähnlichkeit auf. Die Struktur der Superstarsendung und des deutschen Staatssystems sind nahezu identisch, wenn man nicht so genau hinschaut. Okay, es gibt keine Parteien. Aber es gibt die großen Politikkritiker der bekannten deutschen Tageszeitungen, die an der Urne zwar auch nur eine Stimme haben, aber Millionen Bürger mit Ihrer Berichterstattung irritieren. Man könnte sie folglich auch Juroren nennen. Natürlich gibt es das freie, geheime Wahlrecht. Praktischer Weise wurden im TV die Urnen & Zettel durch das Telefon-Voting ersetzt.  Die Kandidaten nehmen symbolisch den Part der Parteien ein und anhand des Recall-Verfahrens kann mit etwas Phantasie die 5%-Hürde erklärt werden. Glücklich über diesen Vergleich und mit dem Bewusstsein einen guten Aufhänger für die nächste Stunde zu haben, haute ich mich wieder vor die Glotze und blieb im Heute-Journal hängen.  Dann fielen mir noch weitere Gemeinsamkeiten auf: Es gibt keine Wahlpflicht und jeder hat nur eine Stimme, wobei die Superstar-Zuschauer wahrscheinlich davon ausgehen, dass sie nach dem Telefon-Voting ihre Stimme abgegeben haben und damit gar nicht erst zur Urne schreiten dürfen. Das wäre eine mögliche Erklärung für die niedrige Wahlbeteiligung (z. B. in Hamburg). Als das Heute-Journal zur Rubrik Innenpolitik kam, da lief mir ein Schauer den Rücken herunter: Bei beiden Auswahlverfahren kann man nur die wählen, die sich zur Wahl aufstellen lassen.


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