Archiv für Februar, 2020

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Feb

Ideelle Werte

Ein kleiner Hinweis eines Schülers, dass der Feuerlescher das Verfallsdatum noch nicht ganz überschritten hat, genügte mir, um mal wieder ein paar Zeilen in die Tasten zu hauen:

Am heutigen Karnevalssamstag war ich mit unseren Jungs in der Stadt. Der Drei- und der Zweijährige sind eher lebhaft. Stille ist für sie eine Aufforderung zum Singen und wenn es nicht gerade etwas zwischen die Kauleisten gibt, ist Rennen in entgegengesetzte Richtungen eine beliebte Alternative. Eine Skulptur, ein großer Springbrunnen oder ein Denkmal sind in ihrer Welt exotische Klettergerüste. Die Bank vor der Auslagetheke beim Bäcker ist dementsprechend nur eine Herausforderung. „Ehy, runter von der Bank!“ werden die beiden direkt angeschnauzt und belehrt: „Die ist nur für die Einkaufstüten!“ Unbeirrt von der barschen Unfreundlichkeit fordern unsere Jungs lautstark: „Brötchen!“ – Ich bestelle also entgegen der fehlenden Kundenorientierung: „Zwei Brötchen und einen Cappuccino-to-Go, bitte!“ Dabei reiche ich der Verkäuferin meinen mitgebrachten Coffee-to-Go-Becher und ernte erst irritierte, dann verachtende Blicke. Auch die restliche Kundschaft schaute skeptisch bis kritisch auf mich und meinen Becher. Widerwillig griff die Verkäuferin zu einem Handschuh und arbeitete die Bestellung ab, als hätte ich 500g Hack und zwei Wildschweine geordert. Als sie mir den Becher über die Theke reicht, wie ich der Mülltonne die Windeln unserer Jungs, wird mir klar, dass der Nachhaltigkeitsgedanke hier anders gelebt wird: „Akzeptanz für nachhaltiges Handeln durch wiederverwendbare Becher fehlt, dafür wird aber die Kundschaft von morgen nachhaltig vergrault!“

Mit diesem mulmigen Gefühl der sozialen Unerwünschtheit machten wir drei uns auf den Weg zum Kinderkarneval. Allein die Location, ein Schützenfestzelt, ist für mich nicht der passendste Ort für ein Kinderfest, aber die Stimmung war gut: Bei den Kindern, weil Unmengen von Bonbons verteilt wurden. Bei den Erwachsenen, weil es Gerstensaft, belanglosen Smalltalk und einen Rauchertisch gab. Allein der Zigarettenqualm mit Noten von Bierfahnen, Männerschweiß und süßlichen Karamellbonbons garantierten mir einen psychosomatischen Herpes. Ich fühlte mich so, wie die Bäckereiverkäuferin beim Anblick meines Coffee-to-Go-Bechers schaute und dachte: „Komisch, dass Drogenkonsum im Beisein von Kindern traditionell überliefert, gesellschaftlich akzeptiert und gesetzlich legitimiert ist, während die nachhaltige Nutzung von wiederverwendbaren Bechern im Sinne unserer Kinder einen zum Außerirdischen im Backshop macht.“

In diesem Sinne,

euer Feuerlescher

Gewidmet ist der Text unseren drei lebehaften Jungs.