Archiv für Juli, 2020

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Haben wir in der Pandemie gelernt?

Nach vier Monaten Corona-Transformation bin auch ich in der neuen Realität angekommen. Überall heißt es: „Wir haben aus der Pandemie gelernt!“ Da frage ich mich: „Was genau?“
Donald Trump bringt die bahnbrechende Idee, Menschen Desinfektionsmittel als Schutz vor dem Corona-Virus zu spritzen. Den Gedanken weitergesponnen, frage ich mich, warum ich nicht USB-Sticks gefrühstückt habe anstatt zu studieren oder mich jeden Morgen über mein Gewicht ärgere, anstatt einmal mit Pril, dem Fettlöser, mein Waschbärbauch zum Waschbrettbauch zu machen. Vielleicht glauben auch unsere Entscheidungsträger an solche Lösungen. Neue Festplatte für Demenzkranke oder Waschstraßen für Pflegebedürftige. Wie sehr wurden während des Lockdowns unsere Alltagshelden in der Pflege und an den Supermarktkassen gelobt und verbal gewürdigt. Nur ein kleiner Teil von Ihnen erhält nun die versprochene Prämie von 1500 Euro. Das Geld braucht das Land nämlich für marode Fußballvereine, da Fußballer eine 1500 Euro Prämie vermutlich schon erhalten, wenn sie es pünktlich zum Trainingsplatz schaffen. Beim Fußball habe ich dazulernen: Die Fußballbundesliga lief unter nur schwer nachvollziehbaren Hygienebestimmungen wieder an, während Schulen zunächst sehr weit weg vom Regelbetrieb waren. Wenn das so weitergeht, könnte bald tatsächlich ein signifikanter Teil der Bevölkerung die oben genannten Lösungsvorschläge als sinnvoll erachten. Diese Bevölkerungsgruppe stellt sich dann vermutlich auch nicht mehr die Frage, warum man die eigenen Mitspieler beim Jubeln nicht berühren soll, Gegenspieler bei Standards aber herzen darf wie in Liebesschnulzen. Bleibt festzuhalten: „In der Schule wurde während der Pandemie eher weniger gelernt.“ Was hat die Gesellschaft statt dessen gemacht? – Wie gesagt, wir unternahmen große Anstrengungen, um Millionären das Fußballspielen zu ermöglichen und Innenstädte als Relikte des letzten Jahrhunderts zu konservieren. Das Feiern ist in größeren Gruppen wieder erlaubt, der Schulbesuch nicht. Ich habe sicherlich nicht alle Seiten der Medaille im Blick und bin weder Virologe noch Politiker, aber wenn mich nicht alles täuscht, fußen unsere glücklichen Lebensumstände nicht auf Fußball, Shopping und Partys sondern auf Innovation und Technik. Perspektivisch vielleicht nicht so klug in Brot und Spiele zu investieren statt in Bildung und Schulsystem. Dabei ist gerade jetzt die Chance so groß, Bildung zeitgemäß anzubieten. Ein Beispiel: Kein Arbeitgeber wird seine Mitarbeiter beauftragen, ein Problem in 4 Stunden, in völliger Isolation, ohne Bewegung, auf zu kleinen Stühlen hockend, mit Zettel und Stift in einem Aufsatz zu lösen. Aber genau so laufen Abiturprüfungen ab. Ich sollte mich also nicht wundern, wenn ein studierter Mann mit Föhnfrisur für mich skurrile Wahrheiten als Licht bringt. Er ist also nicht zwingend debil oder macht bewusst Fehler. Er hat vielleicht einfach gelernt, im beschriebenen Abitur-Klausur-Setting zu arbeiten. Unter den Bedingungen kann man vielleicht zu dem Schluss kommen, dass sein Corona-Krisenmanagement tadellos war und seine Amtszeit ein Erfolg auf allen Ebenen. Bleibt zu hoffen, dass die Wählerschaft in den USA in den letzten Jahren in einem anderen Setting gelernt hat und dadurch auch aus anderen Perspektiven auf die Welt blickt. Wir werden es am 3. November erfahren.