Archiv für April, 2020

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Schulöffnung in der Europa-Klasse

Drei Wochen vor Beginn der Osterferien wurden wir ins Homeschooling geschickt. Mit dem Einsetzen der Osterferien tritt bei mir etwas Ruhe ein und die möchte ich natürlich nutzen, um bereit für den Tag X, die Schulöffnung, zu sein. Wie man es aus anderen Sparten des Katastrophenschutzes kennt, bereite auch mich mit einem Übungsmanöver auf die Standards im Lehreralltag vor. Da jeder mal zur Schule gegangen ist, wird es euch nicht schwer fallen, euch in das Szenario reinzudenken:             

Stellt euch vor, ihr müsst als in Belgien geborene Medizinerin fachfremd Politik unterrichten und die Themen „Solidarität“ und „Gemeinschaft“ besprechen. Neben eurem Medizinstudium verfügt ihr über Berufserfahrungen in der Familie und dem Militär. Eure Aufgabe ist, die 27-köpfige Lerngruppe auf die anstehende Prüfungsphase vorzubereiten. Einige von Ihnen sind richtige Streber, haben schon früh angefangen sich vorzubereiten und aufgrund ihres Elternhauses auch die finanziellen Möglichkeiten. Andere spielen aus Bequemlichkeit die Bedeutung der Prüfungszeit herunter, geraten dann in Panik und sind in den Prüfungssituationen nicht auf der Höhe. Außerdem gibt es natürlich die Problemfälle in der Klasse, die schon seit Jahren um die Klassenzugehörigkeit kämpfen. Bei Ihnen finden zwar immer die besten Partys statt, aber wenn es wirklich ernst wird, erinnern sich die Streber nicht. Die Problemfälle erbeten sehr kurzfristig und unstrukturiert Hilfe von den Klassenstrebern. Diese helfen natürlich auch gönnerisch, aber nur in dem Rahmen der für sie keine großartigen Einschränkungen bedeutet. Außerdem gibt es auch in dieser Klasse ein paar radikale Einzelgänger, die gerne alleine bestimmen möchten und die Klassenregeln mit Füßen treten. Weitere Störfaktoren sind ein ehemaliger Schüler, der die Klasse vor Kurzem verlassen hat, aber auch an den Prüfungen teilnehmen muss und ein großmauliger Orangenkopf aus der Parallelklasse. Beide haben gemeinsam, den wissenschaftlichen Unterrichtsmaterialien oder der Expertise der Lehrkräfte wenig Vertrauen zu schenken, dafür aber im Pippi-Langstrumpf-Style sich die Dinge so zurecht zu legen, wie sie ihnen gefallen. Mit Beginn der Prüfungsphase scheint das jahrelange Sozialtraining zum Teambuilding fast vollständig vergessen. Die meisten isolieren sich und arbeiten alleine. Herausforderungen sind somit vor allem die Heterogenität, die fehlende Kooperation und das divergierende Verständnis von Solidarität.              

Eine wahre Herkulesaufgabe! Dass ich aus dieser Zweckgemeinschaft eine solidarische Einheit forme, ist ähnlich realistisch wie die Chance, dass Donald Trump sich an seine gestern gesprochenen Worte erinnert, Victor Orban als Musterdemokrat ausgezeichnet wird und Händeschütteln weiterhin zum guten Ton gehört. An meiner romantischen Zukunftsvorstellung von solidarischer Klassengemeinschaft möchte ich dennoch festhalten, denn Klassen die große Schwierigkeiten gemeistert haben, feiern die bestehen Ehemaligentreffen und die größten Problemschüler machen nicht häufig steile Karrieren.

In diese Sinne

euer Feuerlescher